Film – Roman – Romantik
Von Maschinen und Menschen
von Isolde Reutter
„Zu diesem Filmtitel liegen aktuell keine Streaming-Angebote vor“ – echt jetzt?!?
In Zeiten von Corona ist man als sonst-gerne-KinogängerIn ja sowieso schon ziemlich kunstverhungert, und Ich bin dein Mensch soll man noch nicht mal streamen können? Seit der Berlinale wird einem durch Kritiken zu diesem neuen Film von Maria Schrader richtiggehend der Mund wässrig gemacht, aber der Kinostart ist erst für Juni 2021 angekündigt – und wie gern würde ich diesen Film im Kino sehen und nicht bloß im heimischen Wohnzimmer! Man darf gespannt sein, welche kollektiven Lacher und kollektiven Beklemmungen dieser Film auslösen wird, und die werden ja nirgends so greifbar wie in guter Gesellschaft im Kinosaal…
Was tun bis dahin? Vielleicht zuerst die Kurzgeschichte von Emma Braslavsky lesen, auf der das Drehbuch beruht? Man will sich ja nicht selber spoilern… Zum Glück gibt es da noch ein paar themenverwandte Werke von Rang, mit denen man sich die Zeit bestens vertreiben kann.
Maschinenmensch Tom versus Maschinenmensch Adam
Tom heißt der Humanoide in Maria Schraders Film, ein verblüffend ähnliches Modell in Ian McEwans Roman Maschinen wie ich (2019) nennt sich Adam. Unterschiedlich sind jedoch die Versuchsanordnungen: Während Maschinenmensch Tom einer eher widerwilligen menschlichen Wissenschaftlerin zum Testen überlassen wird und sich ihr als idealer Partner andient, erwirbt sich der Ich-Erzähler in McEwans Roman seinen Adam käuflich – aus freien Stücken und intellektueller Neugier. Lieber hätte Charlie eine Eve genommen als einen Adam, aber die sind schon ausverkauft. Da Ich-Erzähler Charlie sich in seinen (vermeintlich?) menschlichen Beziehungen eher für Frauen interessiert als für Männer, kommt Adam als Partner nicht in Frage, wird aber verdächtig schnell zum Nebenbuhler in Charlies Beziehung zu Miranda. Miranda wiederum ist an den benutzerorientierten Einstellungen der Adam-Settings beteiligt gewesen, so dass Adam im wahrsten Sinne des Wortes ihrer beider Baby ist: Charlies und Mirandas. Das führt zu einigen Verwicklungen…
Was unterscheidet das menschliche Bewusstsein von dem „Bewusstsein“ einer Maschine?
Brilliant ist McEwans Roman aber nicht nur, weil der Plot immer wieder spannende und unerwartete Wendungen nimmt, sondern auch, weil er herausfordernde Fragen aufwirft: Was unterscheidet das menschliche Bewusstsein von dem „Bewusstsein“ einer Maschine? Sind auch wir Menschen nichts anderes als das Ergebnis verschiedener „Settings“, sind die uns bestimmenden Gene und Meme vielleicht nicht wesentlich verschieden von den Determinanten eines hochkomplexen Algorithmus? Und muss uns ein Maschinenmensch monströser erscheinen als wir uns selbst?
Schraders Film und McEwans Roman gemeinsam ist auch die Frage, was Menschen in ihren zentralen Beziehungen eigentlich suchen und wer ihre Bedürfnisse besser befriedigen kann, ein menschliches Gegenüber oder eine perfekt programmierte Maschine…
Verdammtes, lebloses Automat
Einer Maschine auf den Leim geht auch der sehr bedürftige Student Nathanael aus E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann (1816). Während seine Verlobte Clara eher verhalten reagiert, wenn er ihr stolz aus seinen neuesten Dichtungen vorliest, ist seine neue Flamme Olimpia ganz Ohr und voller Bewunderung für sein Genie. Verblüffend ist, wie der deutsche Romantiker E.T.A. Hoffmann schon vor gut hundert Jahren eine Dreieckskonstellation erschaffen hat, wie Ian McEwan das nicht besser machen konnte. Und mit der herrlichsten romantischen Ironie wird in diesem unheimlichen Stück Literatur entlarvt, welche der beiden Frauen in Nathanaels Leben in Wahrheit ein „verdammtes, lebloses Automat“ ist. So, wie E.T.A. Hoffmann mit seinem immer noch erstaunlich aktuellen und genialen Text an einem (nicht nur damaligen) Frauenbild rüttelt, so rütteln McEwans Roman und vermutlich auch Schraders Film an unserem Menschenbild überhaupt.
Schauerromantik und Schauder der Moderne
Wie lange es wohl dauern wird, bis McEwans Roman als Film in die Kinos oder Wohnzimmer kommt? Man muss nicht besonders weise sein, um vorauszusehen, dass die Verfilmung zu Maschinen wie ich kommen wird und dass diese wiederum mit Ich bin dein Mensch verglichen werden wird – vielleicht in zwei Jahren oder so? Genau zwei Jahre liegen auch zwischen der Erstveröffentlichung von E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann und Mary Shelleys Frankenstein (1818), einem weiteren Werk der Schauerromantik, das moderne Monstermaschinen vorwegnimmt.
Gesprengte Gattungsgrenzen: Automat im Ballett
Nicht zuletzt ist Der Sandmann ein Beispiel dafür, dass richtig gute Stoffe schon immer gern Gattungsgrenzen übersprungen haben: Léo Delibes Ballett Coppélia, das auf E.T.A. Hoffmanns Erzählung basiert, gehört heute noch zum Standardrepertoire wichtiger Häuser. Und solange wir auf den einen und den anderen Film und vor allem auf die Wiedereröffnung von Kinos und Schauspielhäusern warten, finden sich zu Coppélia auch spannende Streaming-Angebote im Netz, zum Beispiel von der Royal Opera of Versailles, „The radical Sci-Fi Ballett“ (2013).
Zum Nachhören, Nachlesen, Nachsehen
IAN McEWAN: „Maschinen wie ich“ Aus dem Englischen von Bernhard Robben, Diogenes Verlag, Zürich 2019, 416 Seiten, ISBN 978-3-257-24560-8
EMMA BRASLAVSKY: „Ich bin dein Mensch“ In Stefan Brandt / Christian Granderath/ Manfred Hattendorf „2029 – Geschichten von morgen“ Suhrkamp Verlag 2019, 541 Seiten, ISBN 978-3-518-47029-9
E.T.A. HOFFMANN: „Der Sandmann“ Textausgabe mit Literaturhinweisen und Nachwort, Reclam Verlag 2001, 79 Seiten, ISBN: 978-3-15-000230-8
MARY SHELLEY: „Frankenstein“ Penguin Classics 2003, 352 Seiten, ISBN: 9780141439471
EuroArts: Léo Delibes – Coppélia | The radical Sci-Fi Ballet (2013).